Über Sinn und Unsinn von Verwaltung!

Wirlingssprache

Ein Beispiel für „Wirlingssprache“

 Jede Branche hat ihre nur sie selbst verstehende Sprache. Es ist wie ein moderner Turmbau zu Babel, aber es ist auch so gewollt. Die Missverständnisse sind vorprogrammiert, Fragen sind unerwünscht.

In der Schule werden „Fachsprachen“ nicht unterrichtet geschweige denn gelehrt und die verwaltungsübliche Wirform erscheint jedem durchschnittlichen Menschen als antiquiert. Es ist Abgrenzung und Ausgrenzung gleichermaßen und es beinhaltet eine Nivellierung der Identität. Ein Verwaltungsmensch ist nicht er oder sie selbst, er/sie ist Teil eines Apparates, eine Nummer und in Briefen, die an Stellenzeichen zu schreiben sind, nicht an Namen – dieser hat  nur eine Nennung unter der Spalte Bearbeiter , oftmals ohne Angabe des Geschlechts. Darin wird aber auch die Herrschaft aufgezeigt, die der Staat bis in seine kleinsten Verästelungen auszuüben gedenkt. In manchen Ämtern gab es schon ein wenig Reform, so dass nicht mehr genau ersichtlich ist an welcher Stelle der Hierarchie, wer steht.

Herkömmlich sagt eine römische Zahl – nach der Abteilung – welches Gebiet dort bearbeitet wird und die arabische Zahl deutet die Stellung in der Hierarchie an. Je mehr Zahlen hinter der römischen Zahl  stehen, um so kleiner ist das Rädchen im bürokratischen Getriebe. In diesen Positionen gibt es nun unterschiedlich agierende Charaktere.

Die Älteren, die wissen, dass der Laufbahnzug längst ohne sie abgefahren ist und die hoffen, dass kein Organisationsgutachten, sie jemals wegrationalisieren möge. Sie bezahlten mit dem oktruierten Wir-Gefühl mit einem gebrochenen Rückgrat. Von ihnen hören wir Sätze, wie: „wir kleinen Lichter, wir können sowieso nichts ändern.“ Die Jung-Dynamischen, die hoffen, die Karriereleiter noch zu erklimmen, zeichnen sich durch besondere Buchstabentreue den Gesetzen gegenüber aus. Das erzeugt beim Bürger häufig Widerspruch, dadurch liest der Vorgesetzte öfter den Namen des beflissenen, kleinen Beamten und entdeckt, dass da einer – und dieses Spiel ist ein männliches  – sitzt, der das Zeug hat, das Gesetz für die Verwaltung gut zu beugen und den Staat vor dem Bürger und dessen Anspruchshaltung zu schützen.

Dieser Schutz ist wichtig, denn wenn alle anspruchsberechtigten BürgerInnen ihre Ansprüche geltend machen würden z. B. auf Wohngeld, auf einmalige Beihilfen in der Sozialhilfe ( heute Grundsicherung), auf Leistungen im Gesundheitswesen usw. wäre der Staat noch früher pleite gewesen. Dieser Schutz vor dem Bürger ist haushaltsrechtlich so weit gediehen, dass nicht Geld für alle Anspruchsberechtigten in den Haushalt eingestellt wird, sondern nur für den statistisch errechneten Teil, der entweder tatsächlich sich selber nicht zu helfen weiß, oder den nichts abschreckt. Diese nicht abzuschreckende BürgerInnenmasse gilt bei Beamten, als überzogen anspruchsvoll und unverschämt und wird entsprechend behandelt – wegen des Abschreckungseffekts. Außerdem fürchtet der Beamte ganz besonders die Rechtskundigen. Nachdem aber die Flut der Gesetze, Verordnungen, Änderungen der Ausführungsvorschriften und Runderlasse häufig zu amtlichen Internas geworden sind, braucht der Beamte nicht lange zu bangen, dass der Bürger/ die Bürgerin ihm wissens- und interpretationsmäßig voraus ist. Und diese Wissens-Vormachts-Stellung beinhaltet durch  vorauseilenden Gehorsam und geschworene Gesetzestreue – dieses Wir-Gefühl der „Schreibtischtäter“.

Durch die Herrschaft einer eigenen Sprache wird der Bürger/die Bürgerin unterdrückt. Durch das vorprogrammierte Unverstandensein des Antrag stellenden Menschen und das Unverständnis des Verwaltenden für diesen, wird verhindert, dass jede/r bekommt, was ihm/ihr zusteht. So wird gespart zum Wohlgefallen der Statthalter der öffentlichen Finanzen. Alles ist legal, vor allem loyal gegenüber dem Dienstherren.

Gäbe es mehr Dienstfrauen, wäre vieles anders. Die Amtssprache würde als erstes auf Allgemeinverständlichkeit überprüft. Die Flut der Gesetze, Verordnungen usw. würde versiegen und zusammenfassenden Grundsätzen weichen. Das oberste Gebot wäre Gerechtigkeit. Die Verwaltung würde auf das Dienen am Volk – sprich den Bürgerinnen und Bürgern- eingeschworen und nicht auf den buchstabengetreuen Dienst am Gesetz. Die Verwaltung würde aufhören Pfuhl von selbstgerechten „Wirlingen“ zu sein und tatsächlich zu einem modernen Dienstleistungsbetrieb mutieren.

Da derzeit aber die Chancen schlecht stehen, für eine durch Frauen gemachte Reform, wird noch lange aus schlecht ausgestatteten Amtsstuben den BürgerInnen Unrecht zugefügt werden – im Namen des Gesetzes, der Verordnung, des Erlasses.

Die babylonische Sprachverwirrtheit wird weiter auf Formularen schwarz auf weiß den BürgerInnen in nicht verständlichen Worten mitteilen, wo Verwaltung gedenkt – Eingriffe in die Privatsphäre (die, die „Wirlinge“ nicht haben und deshalb auch dem zu Bescheidenden nicht gönnen) vorzunehmen, etwas anzuordnen, zu etwas aufzufordern, etwas zu untersagen und manchmal auch etwas zu bewilligen.

In diese Hierarchie der „Wirlinge“ wird nur aufgenommen, wer lange in der Nickeselbrigade den Verzicht auf Persönlichkeit geübt hat. Selbständig denkende Köpfe auf aufrecht gehenden Körpern werden zu brechen versucht oder ausgegrenzt. “Wirlinge“ sind grausam. Da „Wirlinge“ bei Antragstellern das Individualitätsprinzip walten lassen sollen, wird dieses dafür sorgen, dass sich weiterhin jede/r Berechtigte wie ein Bittsteller vorkommt und nur wer das Spiel durchschaut und eine für ihn/sie tragbare Rolle spielen kann, hat die Chance von der mächtigen Verwaltung zu bekommen, was er oder sie braucht.

Jede Volkshochschule sollte Kurse kostenlos anbieten, in denen BürgerInnen der Durchblick durch Verwaltung vermittelt  und Trainings im Umgang mit „Wirlingen“ durchgeführt werden.

 

Eva Willig – geschrieben vor ca. 20 Jahren

 

 

 

 

 

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