second-hand-girl

ebaypaket7tMit dem Tag als mein Vater starb, ich war 6 Jahre alt, begann meine second-hand-girl-Zeit. Ich hatte 8 ältere Kusinen. Die meisten wohnten in der „Zone“. Wenn sie aus irgendwelchen Klamotten herausgewachsen waren, bekam ich sie. Meine Mutter bekam selten Stoff oder neue Textilien geschenkt. Mein erstes neu gekauftes Kleid bekam ich zur Präparandenprüfung, da war ich 13 Jahre alt. Mit der Konfirmation und der Tanzstunde war der Segen schon wieder vorbei. Das Konfirmationskleid war von 2 Kusinen vor mir schon zum gleichen Anlass getragen worden und wurde für mich zum 3. Mal geändert. Allerdings gab es zum Fest neue Schuhe und ein Paar Nylons von Dior. Beim Tanzstundenkleid war ich auch mindestens die 3 Trägerin. Es wurde für mich mit einer Riesenblüte aus Organza aufgemotzt.

Das Abtragen anderer Leute Klamotten bewog mich dann auch eine Lehre als Textileinzelhandelskauf“mann“ in einem Modehaus zu machen. Endlich eigene Sachen haben – aber was war das Erste, womit wir Lehrlinge konfrontiert wurden – Farbbeschränkung – wir durften nur schwarz, grau und dunkelblau tragen. Kombiniert werden durfte zwischen den Farben und mit weiß. Außerdem sollten die Lehrlinge einheitliche Dienstuniform tragen, dafür stellte uns die Firma mausgraue Trägerröcke mit V-Ausschnitt und Bindegürtel zur Verfügung. Die Ähnlichkeit dieser Teile mit Kartoffelsäcken, war nicht zu leugnen. Wenn wir motzten, wurde uns erklärt, dass es uns im Verhältnis zu den C&A-Lehrlingen ja noch gut ginge, denn die durften  nur schwarz und schwarz-weiß tragen.

Aber zumindest wurde durch meine Lehrzeit im Modehaus mein Besitz an wirklich eigenen und selbst ausgesuchten Bekleidungsstücken größer. Obwohl Geld knapp war. Im 1. Lehrjahr verdiente ich 85 DM brutto, im 3. Lehrjahr 1967 waren es 180 DM. Als Jungverkäuferin verdiente ich 480 DM brutto. Zu dieser Zeit besserte ich mein Salär damit auf, dass ich für die Boutique in der ich arbeitete Modenschauen tanzte oder vor einer befreundeten beatband als gogo-girl rumhüpfte. Das brachte pro Auftritt zwischen 20 und 50 DM. Dazu kam der gesparte Eintritt des „events“ mit so bedeutungslosen „Künstlern“ wie den <Geschwistern Leismann> o.ä.

Auf der Textilfachschule freundete ich mich wieder langsam mit second-hand-Textilien an, denn mit mir studierten zwei Frauen, die nähen konnten. Das hab ich zwar nicht gelernt, sondern nur häkeln, aber ich war fasziniert, wie die beiden mit wenig Accessoires aus „Altem“ Modelliges erschufen.

Während des Sozialarbeiterstudiums war Schmuddellook angesagt und so manchem Linken schien ich suspekt, da ich für die damalige Szene zu gestylt herum lief. Mit den Kleiderordnungen stand ich noch öfter auf Kriegsfuß. In der Klinik, wo ich auf einer Suchtkrankenstation arbeitete, wurde von mir verlangt, dass ich weiße Kittel trug. Die Klinik stellte verzauberte Mehlsäcke kostenlos zur Verfügung. Es war zwar nicht einzusehen, aber nachdem SozialarbeiterInnen zur „weißen Wolke“ gehörten, sollten sie mit Kittel bekleidet den Dienst antreten. Die „weiße Wolke“ nannten wir den Tross, der zur wöchentlichen Chefvisite hinter dem Chefarzt her dackelte. Dazu gehörte der Oberarzt, der Stationsarzt, die Oberschwester, die Stationsschwester, die Psychologin, Sozialarbeiter und Auszubildende. Ich konnte die Mehlsäcke nicht leiden und kaufte mir eigene kurze Kittel. Dies beleidigte die Augen der Oberschwester, die außerdem erwartete, dass keine auf Station arbeitende Frau, Nagellack benutzt. Auch Schmuck war verpönt.

Einen weiteren Zusammenstoß mit Kleiderordnungen erlebte ich bei der Neuköllner Alternativen Liste. Diese war dominiert von Bigshirt- und Löcherpulli-tragenden Bärtigen. Das Aussehen der 68er wurde 20 Jahre später immer noch konserviert. Dass sie damit manchen  Konservativen rechts überholten, haben die ALer gar nicht gemerkt. Ich war ins Bezirksparlament gewählt worden. Das größte Bezirksfest war der „Parlamentarische Abend“. Da ich die einzige Frau in der Fraktion war, fragte ich die SPD-Frauen, was frau da so anzieht. Die sagten, wenn Du lang hast, trag lang. Das tat ich und musste mich 45 Minuten auf der nächsten Fraktionssitzung der Grünen rechtfertigen, warum ich das tat.

Neben den second-hand-Klamotten, hatte ich auch ein Faible für anderen alten Kram. Egal ob Puppen und Spielzeug, was ich als Kind kaum hatte, Bücher, Krimskrams oder Möbel, so dass meine Wohnung ein einziger Stil-Misch-Masch prägt. Zumindest habe ich ein wenig darauf geachtet, dass Kitsch und Kunst getrennt ist. Kitsch in die Küche, Kunst in die restlichen Räume.

Damit das Verhältnis zu second-hand ein wenig Bestand behalten möge, gibt es seit 2007 eine kleine Ausstellung, die in zwei Koffern auf meinem Schrank darauf wartet, wieder gezeigt zu werden. Sie hat den Titel: “90 Jahre weibliche Bekleidungsgeschichte“. Vielleicht sind es sogar mehr, als 90 Jahre, da ein Exponat, ein Pompadour, wahrscheinlich schon im 19. Jahrhundert gefertigt wurde und ein Fächer inzwischen auch schon mehr als ein Jahrhundert auf dem nicht vorhandenen Buckel hat.

Mal sehen, ob jemand noch mal Lust hat das Sammelsurium zu präsentieren. Mich würde es freuen, denn dann würde aus dem second-hand-girl aktualisiert eine vintage-lady.

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