Mit Moral schlug ich mich mein Leben lang herum. Je älter ich wurde, umso wichtiger wurden bestimmte Werte für mich, während ich gesellschaftlich betrachtet immer wertloser wurde.
Es ist ein alltäglicher Drahtseilakt der eigenen Überprüfung, um sich vor der Heuchelei Anderer zu wappnen. Soweit ich zurückdenken kann, war für mich immer Diplomatie die größte Heuchelei. Dies ergab sich vielleicht durch meine eigene kompromisslose Haltung, die mich für sie nicht befähigte, zum anderen aus der Verachtung der Rückwärtsgeher, die durch diplomatische Selbstverleugnung zwar auf der mittleren Karriereebene mitschwimmen, aber rückgratlos die Lehre verbreiteten, ein Ding müsse von allen Seiten betrachtet werden. Ein weiterer Punkt ist die pädagogische Nivellierung der Werte, weil – wenn alle Betrachtungsweisen gleichberechtigt sind, wird die Ansicht, etwas ist gut oder böse, objektiv aufgeweicht .
Diese Gleichmacherei der Meinungsmacher führte nicht nur zu politischen Profilverlusten, sondern war gesellschaftlich wichtig, weil das Gefühl, dass alle Recht haben, in der Lage sein könnte, die ökonomischen Bedingungen des Einzelnen, deren Unterschiedlichkeit täglich mehr weiter auseinanderklafft – in den Hintergrund treten lassen. Und zu Recht und Ordnung kommen ganz schnell die Schwestern Schuld und die Älteste Schulden. So ergibt sich ein System der kollektiven Rechthaberei und der individuellen Schuld(en).
Werte, Normen und Moral kommen so auf den Müll der schönen neuen Welt. Verkommen zu Ladenhütern unzeitgemäßer, weiblicher Verzögerung. Wer die neue Ordnung nicht akzeptiert, ist selbst schuld und muss natürlich auch die Konsequenzen tragen.
Doch nachdem diese männlich neu gemachte Welt eine ist, die unsoziale Ellenbogengesellschaft propagiert, wird sie nicht lange Bestand haben, hofft frau. Allerdings lange genug, um auszusondern. Die moderne Ausgrenzung ist psychischer Natur und führt zu einer neuen Art Euthanasie. Verbal gelten die Menschenrechte für Alle. Vom Recht-Haben, kann Mensch aber nicht leben oder überleben. Deswegen steht das Recht-Haben bei den „Neue-Welt-Machern“ ja auch so hoch im Kurs.
„Nicht am Spielbeteiligte Unterprivilegierten“ fällt es schwer zu begreifen, wie diese neue Ordnung gemacht ist. Dieser Konstrukt entbehrt jedweden Strickmusters, es bedarf keines Kochbuchs, indem wenigstens die Mengen der Zutaten geregelt sind.
Die Kohl-Regierung hatte genau berechnen lassen, welche Einschnitte ins soziale Netz die 2/3 Gesellschaft entwickelt, außerdem waren diese 2/3 mathematisch exakt berechnet, um bei Bundestagswahlen ohne Verluste, Wahlsiege einzufahren. Durch die Annexion der Ex-DDR sind diese Berechnungen nichtig und eine gefährliche rechtslastige Anarchie macht sich breit. Parteiensiege werden heute durch die Nichtwähler gemacht und deshalb wurde den neuen Bundesbürgern auch schnell der Mythos der demokratischen Freiheiten vergällt. Durch ihre depressive Ohnmacht und Resignation setzt mann darauf, dass sie vom Wählen, das nichts ändert, müde sind und beim nächsten Mal gar nicht mehr hin gehen.
Diesen Macht-Konstrukt schert wenig, wie eine Mahlzeit zusammengesetzt sein muss, um bekömmlich zu sein und welche Gewürze die geschmackliche Komposition ausgewogen erscheinen lassen. Egal wie unverträglich der fetttriefende Einheitsbrei ist, durch gesamtdeutsches Design, wird er zum Konsumartikel gestylt und nur wer ihn sich leisten kann – wird ihn verdauen. Wer sich ziert, stellt sich genau so ins Abseits, wie ein/e Sensible/r, dem sich die Vorstellung vor dem „Genuss“ schon auf den Magen schlägt. Wem er im Halse stecken bleibt, ist sowieso mit Sprachlosigkeit geschlagen und die, die beim Verdauen Blähungen bekommen, werden ihre schlechten Manieren in wohlwollende Sprechblasen verwandeln, wie sie diplomatiegeübte Karrieretypen täglich medienwirksam absondern.
Aber außer auf die Moral und die Werte werden derzeit auf alle Sinne Attacken geritten – nicht nur auf den Geschmack. Unser Gehör wird entweder mit Floskeln gequält oder mit Fragmenten, die in ihren einzelnen Worten zwar der deutschen Sprache zuzuordnen sind, in ihrer Aussage aber nur geweihten Kreisen verständlich sind. Musikalisch erobert der Synthesizer die Klangwelt – kalt, gefühllos und berechnend, addiert er Noten zu Melodien. Unsere Nasen werden zusätzlich von synthetischen Düften gefoppt.
Auf der Haut und an den Füßen zeigen sich zu allererst die Zugehörigkeit zu den gesellschaftlichen Dritteln. In der Schule werden Kinder gehänselt, wenn sie nicht mithalten können bei den schnell wechselnden Moden. 3 Streifen Adidas – 2 Streifen Caritas! Der „Einheitsbrei“ hat zwar angeblich dazu geführt, dass Alles tragbar ist und das modische Längendiktat nicht überleben konnte, aber man/frau sieht halt doch, je nachdem zu welcher Insider-Gruppe gehörig, ob es die Farbnuance des letzten Jahres oder die des diesigen ist. War letztes Jahr noch das Top oder das T-Shirt ein Muss, wird es dieses Jahr der Body sein. Seide glänzt anders als Viskose und die Italiener haben schon immer von Farben mehr verstanden, als ehrlich bemühte ehemalige Kombinate in „Ostdeutschland“.
Die Sinnlichkeit ist zum Styling verkommen, wo es nur noch darum geht perfekt und dadurch dazugehörig zu sein. Der Wettbewerb regelt Alles – aber was sollen die machen, die lieber echte Leidenschaften auskosten, anstatt zu wetten? Die, die zwar gerne spielen, je kommunikativer je lieber, aber keine Spieler sind? Die, denen kleine Glücksmomente in der Natur Kraft geben, aber keinerlei Talent zum Glücksritter haben oder die, die konservativer sind und an den alten Werten und ihren Inhalten hängen? Für all die ist in der schönen neuen Welt der high-tech parfümierten Ellenbogen kein Platz. Lasst uns unsere alte Welt wieder aufbauen und den Anderen zeigen, dass es in ihr lebens- und liebenswerter zuging.
Nach über 20 Jahren der Entstehung dieser Geschichte bezeichne ich mich heute noch als wertekonservative, autonome Alte.